Einblicke in den Schweizer Frauenfussball: Studien zu Training, Umweltfaktoren und berufliche Karriereaussichten von Nationalspielerinnen

Ein Gastbeitrag von Florentine Baron, Universität Bern

Spannende Einblicke in den Schweizer Frauenfussball: Ein aktuelles Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Achim Conzelmann des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Bern beleuchtet die vielschichtigen Entwicklungen, denen Schweizer Frauen im Fussball gegenüberstehen. Die beiden ersten Studien aus dem Projekt widmen sich den Trainings- und Umweltfaktoren sowie den Bildungs- und Berufslaufbahnen ehemaliger Elite-Fussballspielerinnen und liefern entscheidende Einblicke in den Weg dieser Athletinnen an die Spitze.

FCZ-Frauen 2009 (FCZ)

 

Fussball im Wandel: Umgebung und Training als Wegbereiter des Erfolgs von Fussballerinnen

 

Die Studie von Charbonnet et al. (2023) fokussiert auf Umweltfaktoren und Trainingsmuster im Frauenfussball in der Schweiz und zeigt einen signifikanten Anstieg der gesellschaftlichen Unterstützung. Die Untersuchung von drei verschiedenen Kohorten von Nationalspielerinnen offenbart zudem, dass die gestiegenen Leistungsanforderungen der letzten 30 Jahre mit einem früheren Einstiegsalter ins Clubtraining und einer erhöhten Trainingszeit einhergingen. Im Vergleich zu vor 30 Jahren beginnen Mädchen, die später Nationalspielerinnen werden, heute durchschnittlich sechs Jahre früher (8 Jahre alt im Vergleich zu 14 Jahren alt) strukturiert Fussball zu spielen.

Erstaunlicherweise wiesen die heutigen Schweizer Nationalspielerinnen in ihrer Freizeit keinen höheren Anteil an Strassenfussball im Vergleich zu ihren Kolleginnen der 1990er-Jahre auf und sogar einen deutlich geringeren im Vergleich zu den Jungen, die später den Profifussball erreichen. Dieser Umstand lässt sich vor allem auf kulturelle Gewohnheiten zurückführen: Viele Kinder neigen immer noch dazu zu glauben, dass Strassenfussball eher eine Aktivität für Jungs ist. Die Hürde, sich zu beteiligen, ist somit für Mädchen höher. Ein Kulturwandel (gesellschaftlich, institutionell, familiär, schulisch) könnte diese Hürden überwinden und Mädchen die Möglichkeit bieten, Schlüsselaspekte der Talentförderung wie Technik, Entscheidungsfindung und Kreativität in ihrer Freizeit zu fördern. Dies könnte dazu beitragen, Risiken einer zunehmenden Spezialisierung bezüglich Motivation und Burnout zu minimieren und gleichzeitig die Aussichten auf zukünftigen Erfolg zu steigern.

Cinzia Zehnder, ehemalige Nationalspielerin, hat Medizin studiert.

 

Nachsportliche Karriereverläufe ehemaliger Schweizer Nationalspielerinnen

 

Die zweite Studie (Schmid et al., 2023) beleuchtet die Bildungs- und Berufskarrieren von 57 ehemaligen Fussballspielerinnen, welche zwischen 1990 und 2022 für das Schweizer Nationalteam gespielt haben. Genauer gesagt wurde der Einfluss der Spitzensportkarriere auf die nachfolgende Berufskarriere untersucht. Dabei zeigte es sich, dass die ehemaligen Nationalspielerinnen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung höhere Bildungsabschlüsse aufweisen. Im Vergleich mit ihren Geschwistern haben sie vergleichbare Bildungsabschlüsse erreicht und arbeiten heute auch in Berufen mit einem ähnlichen Prestige. Werden die typischen Bildungs- und Berufskarriereverläufe der ehemaligen Spielerinnen angeschaut, finden sich keine problematischen Verläufe (z. B. Abstiegskarrieren). Die Autoren gehen deshalb davon aus, dass die Fussballkarriere keine bedeutenden Auswirkungen auf die Bildungs- und Berufswege dieser Sportlerinnen hatte. Ehemalige Fussballerinnen sind heutzutage in der ganzen Breite auf dem Arbeitsmarkt vertreten. Man könnte demnach annehmen, dass Eltern und Spielerinnen von dem Gedanken, zunächst, ein wenig Abstand nehmen könnten, dass eine Fussballkarriere die berufliche Zukunft zwangsläufig einschränkt. Allerdings zeichnet sich ab, dass ähnliche Entwicklungen wie im Männerfussball bevorstehen könnten, welche sowohl mit Chancen als auch mit Risiken einhergehen. So bringt die steigende Professionalisierung und Kommerzialisierung im Sport nicht nur höhere Gehälter und neue Karrieremöglichkeiten mit sich, sondern birgt auch das Risiko, dass sich Spielerinnen vollständig auf den Sport konzentrieren und nach ihrer Karriere ohne Ausbildung und berufliche Perspektiven dastehen. Damit auch zukünftig Sportlerinnen einen gelingenden Übergang von der Leistungssportkarriere in die berufliche Karriere haben, ist es essenziell, dass die Unterstützungsmassnahmen mit dem zunehmenden Investment der Spielerinnen schritthalten.

 

Zusammengenommen unterstreichen diese Studien die Komplexität und die sich verändernden Umweltbedingungen, denen Schweizer Frauen im Fussball begegnen. Sie liefern nicht nur detaillierte Einblicke in Trainingsmuster und Umweltfaktoren, sondern werfen auch drängende Fragen zur Zukunft des Frauenfussballs in Bezug auf Bildung, Beruf und Gleichstellung auf. Die Erkenntnisse fordern eine verstärkte Berücksichtigung und strategische Veränderungen, um eine ausgeglichenere und förderlichere Umgebung für den sportlichen wie auch akademischen Erfolg von Frauen im Schweizer Fussball zu schaffen.

Die Frauennati in den 1990ern (FCZ-Museum)

 

 

Quellen

 

Charbonnet, B., Schmid, M. J., Örencik, M., van Niekerk, E., & Conzelmann, A. (2023). The road to

excellence in women’s football: A retrospective cohort study over the last 30 years with Swiss national players. Science and Medicine in Football. Advance online publication. https://doi.org/10.1080/24733938.2023.2279531

 

Schmid, M. J., Charbonnet, B., Kurz, D., Örencik, M., Schmid, J., & Conzelmann, A. (2023). Beyond the

final whistle: Vocational careers of retired soccer players of the female Swiss national team. Soccer & Society. Advance online publication. http://doi.org/10.1080/14660970.2023.2284393